Die Kontroverse zu Mast-Biegekurven ist entbrannt
Seit Jahren spannt Unifiber Windsurf-Masten verschiedener Marken in einem Prüfstand ein, misst die Biegung nach und spricht Empfehlungen dazu aus, welche Segelmarken mit welchen Unifiber-Masten kompatibel sind. Dadurch kann der Windsurfer sich zu seinem teuren Segel einen preisgünstigeren Masten als den Originalmasten zulegen, der trotzdem gut funktioniert.
Doch was Unifiber in seinem Mast Selector für 2021 veröffentlicht, sprengt die Jahre lang kommunizierten und verbreiteten Überzeugungen:
Wenn das so stimmt, dann wäre das eine wahre Revolution, die sehr viele anerkannte Aussagen über Mast-Segel-Kompatibilitäten als falsch entlarven würde. Windsurfer müssten radikal umdenken und ihr Equipment neu planen. Händler müssten sich in ihren Beratungen komplett umstellen und teils eine 180°-Wende vollziehen. Die unfassbarsten Aussagen des Mast Selectors:
- Neil Pryde Masten haben keine Flextop Biegekurve (FT) bzw keine Progressive Flextop Biegung, sondern Constant Curve (CC). Wenn der Mast Selector so stimmt, würde das bedeuten, dass man für alle Neilpryde-Segel ab Baujahr 2016 neue Masten anschaffen müsste, und dass man alte NP Segel mit neuen NP Masten nicht mehr vernünftigen riggen könnte. Das halten wir für eine sehr fragwürdige Aussage.
- Ga bzw. Gaastra Segel funktionierten Jahre lang nur mit Hard Top Masten (HT), ab 2015 aber dann mit Constant Curve Masten. Der Unifiber Mast Selector geht jetzt aber rückwirkend zu 2015 eher von einer gering ausgeprägten Flextop Kurve aus! Das wäre ebenfalls eine radikale Wende bei GA Sails, die massive Inkompatibilitäten zwischen neuen und alten Masten mit sich bringen würde.
- Für Goya schwankt die Biegung zwischen ausgeprägter Flextop und Constant Curve – einen Masten dazwischen, also mit geringer Flextop-Tendenz gibt es laut Mast Selector nicht. Es entsteht ein Bild, nach dem die Goya Masten aus der RDM und SDM Reihe untereinander inkompatibel wären.
- Duotone (bzw. zuvor North Sails) war seit Jahren ein klassischer Vertreter der Constant Biegekurve. Laut dem Mast Selector soll Duotone/North schon seit 2013 eher eine sehr gemäßigte Flextop Kurve haben
Wir gehen in diesem Artikel der Frage auf den Grund, wie es zu solchen Neueinschätzungen der Biegecharakteristika kommen kann.
Masthärten in IMCS: Früher war alles einfacher…
Ganz früher war die Welt für Windsurfer einfach: Über Mast-Biegekurven wurde gar nicht gesprochen, sondern nur über die Härte. Diese wurde in IMCS (Index Mast Check System) angegeben und berechnete sich nach einer Formel, die allerdings auf einer recht primitiven Messung beruhte: Man hängte einfach genau auf der Hälfte des Masts ein 30 kg Gewicht an und maß, wie stark sich der Mast in der Mitte nach unten bog. Daraus ergab sich die Masthärte, die in der Regel je nach Masthärte standardisiert war. Damit war das Thema erstmal durch. So lange, bis das nicht mehr reichte, denn wie die unten stehenden Grafiken zeigen, kann man sich sehr unterschiedliche Mastbiegungen vorstellen, die mit der beschriebenen „Holzhammer“-Härtemessung alle das selbe Ergebnis bringen:
So hätten diese beiden Masten die selbe Härte, obwohl sie von der Biegung her grundunterschiedlich sind. Etwas Neues musste her…
Die Biegecharakteristik und die Einteilung in Flex Top, Constant Curve und Hard Top
Wegen der dargestellten Schwächen zur Klassifizierung von Masten allein auf Grundlage der Gesamthärte wurden zwei weitere Messpunkte eingeführt. Weiterhin wurde ein 30-kg-Gewicht in der Mitte des Mastens angehängt und dort die Deflection (also Beugung, Biegung, Abweichung) gemessen. Zusätzlich wurde unter dieser Belastung aber auch die Deflection bei 1/4 des Masts und bei 3/4 des Masts gemessen. Diese drei Messwerte wurden in die folgende Berechnungsformel zur Bestimmung einer Biegekurven-Kennzahl eingesetzt:
((Deflection bei 3/4 der Länge) x 100 / (Deflection in der Mitte))
minus
((Deflection bei 1/4 der Länge) x 100 / (Deflection in der Mitte))
Zuordnung von Biege-Kennzahlen zu Biegekurven
Die so berechnete Kennzahl ermöglichte eine Zuordnung zu verschiedenen Biegecharakteristiken:
0-6: Hard Top
7-9: Hard Top – Constant Curve
10-12: Constant Curve
13-15: Constant Curve – Flex Top
16-18: Flex Top
19-21: Flex Top – Super Flex Top
ab 22: Super Flex Top
Etwas verallgemeinernd konnte man daraus drei Idealtypen ableiten:
- Hard Top Curve: Das Unterteil des Masts, also die Base, ist verhältnismäßig weich, so dass der Mast sich in der Base stärker biegt als bei den anderen beiden Typen. Dafür ist die Biegung im oberen Mastteil (dem Top) geringer.
- Constant Curve: Die Bezeichnung impliziert eine konstante Biegung über beide Mastteile. Das ist etwas irreführend, aber in der Tendenz biegt sich die Base etwas weniger und das Top etwas mehr als bei Hardtop. So verteilt sich die Gesamtbiegung etwas gleichmäßiger auf Base und Top.
- Flex Top Curve: Eine härtere Base lässt weniger Biegung zu, so dass zur Erreichung der selben Gesamtbiegung wie bei den anderen Typen sich das Top stärker biegen muss, also das top stärker „flext“.
Grafisch dargestellt in den drei Reintypen Flex Top, Constant Curve und Hard Top sieht die Biegung dann etwa so aus:
Diese Reintypen wurden seit 2011 von Unifiber angeboten, so dass man näherungsweise die jeweiligen Biegekurven der Masthersteller abdecken konnte. Aber nur näherungsweise, denn die Übergänge zwischen den Reinformen sind fließend, und darüber hinaus veröffentlichen die Segelhersteller die Mastdaten selten, da sie lieber ihre vergleichsweise teuren Marken-Masten passend zu ihren Markensegeln mitverkaufen möchten. So bleibt dann den Mast-Zweitausstattern nur, sich entweder auf Messungen von Fachzeitschriften zu verlassen oder selbst zu messen. Letzteres hat Unifiber gemacht und seine Masten in drei unterschiedlichen Biegekurven auf den Markt gebracht. Dabei war die Farbmarkierung wie folgt:
- Grün = Constant Curve Biegung in Reinform
- Rot = Flex Top Biegung in Reinform, ideal für Neil Pryde
- Blau = Hard Top Biegung, ideal für Gaastra / Ga
Kennzahlen der Biegecharakteristik: AUCH viel zu ungenau?
Mit nun drei Messpunkten und der obigen Berechnung der Kennzahl zur Biegecharakteristik, so dachte man, wäre man auf der sicheren Seite. Allerdings ist die Kennzahl ja nur eine Verhältniszahl. Als Beispiel:
- Mast 1 mit 61% Base deflection und 77% Top deflection ergibt die Kennzahl 16 und wäre daher ein Flextop Mast.
- Mast 2 mit 63% Base deflection und 79% Top deflection ergibt AUCH die Kennzahl 16, hat aber eine völlig andere Biegung.
Es wird deutlich, dass weder allein die Masthärte noch Masthärte in Kombination mit der Biegekurven-Kennzahl ausreichen, um eine Mastbiegung passend zu charakterisieren. Daher hat Unifiber zu 2021 beschlossen, sich von den missverständlichen und wenig aussagekräftigen Größen zur Beschreibung der Biegekurve zu verabschieden und die tatsächlichen exakten Biegungen der großen Segelhersteller zu messen. Daraus entstand schließlich die neue Mast-Linie mit der gelben Biegekurve, die rechnerisch auch der Flex Top Biegung angehören müsste, aber die gemäßigter ist und bei der der Flex weiter unten im Top stärker ist. Werfen wir also nun einen Blick auf die Neuerungen:
Die neuen Unifiber Mastbiegungen zu 2021
Mit dem „Aussterben“ der Hard Top Biegekurve im Jahre 2015 bot sich nun die Möglichkeit einer noch differenzierteren und sensibleren Neueinteilung: Unifiber schafft im Jahr 2021 eine Surfmast-Serie, die eine weitere Biegung neben der klassischen Constant Curve und der bisherigen Flex Top Biegung darstellt. Diese ist gelb:
- Gelb = gemäßigter Flex Top mit mehr Flex im unteren Bereich des Tops statt an der Spitze, passend zu so manchem Segelhersteller, der bisher rein rechnerisch der Constant Curve Biegung zugerechnet wurde.
Seine drei neuen Biegekurven beschreibt Unifiber wie folgt:
- Grün = Constant Curve:
A ‚classic‘ constant curve. Balanced and versatile, with the curve profile that has been preferred by many sailmakers for decades. - Gelb = Low Flex Top:
A modern-day flex top with a little more flexing in the centre. - Rot = High Flex Top:
Flexes in the top as much as the Green Curve but is a little stiffer in the centre, resulting in a very fluent curve.
Carbongehalte
Dabei kommen die drei Biegekurven ab 2021 nicht mehr wie bisher in vier Carbon-Gehalten, sondern zur Verschlankung der Range nur noch in dreien (Essentials = C50 / 50 % Carbon, HD = C75 / 75 % Carbon, Elite = C100 / 100 % Carbon) in die Surf Shops.
Anmerkung zur Vermeidung von Verwirrungen: Wenn die Bedruckung des Masts rot ist, heißt das nicht, dass es sich um die Red Curve (also Flextop) handelt. Entscheidend ist die Farbe des Labels unter der Längenangabe.
Bezugsquelle
Wenn du dich für einen der neuen Unifiber Masten interessierst, egal ob RDM oder SDM, sieh dich gerne in unserem Surfshop um:
- Unifiber Low Flextop Mast RDM (Yellow Curve)
- Unifiber High Flextop Mast RDM (Red Curve)
- Unifiber Constant Curve Mast RDM (Green Curve)
- Unifiber Low Flextop Mast SDM (Yellow Curve)
- Unifiber High Flextop Mast SDM (Red Curve)
- Unifiber Constant Curve Mast SDM (Green Curve)
Fazit
Mit der neuen „Yellow“ Biegekurve schließt Unifiber eine Lücke zwischen Constant Curve und Flextop, die durch die starre bisherige Einteilung nicht so im Bewusstsein der Windsurfer war. Diese neue Kurve basiert aber nicht auf Mathematik, sondern ist entstanden aus den tatsächlich ermittelten Kurven der Original-Segelhersteller. Da es für diese neue „Zwischen-„Biegung keine Bezeichnung gibt, trägt sie „Low Flex“ im Namen. Das „Low“ bezieht sich dabei ebenso darauf, wo genau im Top der Mast am meisten biegt, nämlich weiter unten im Top, als auch auf die Ausprägung des Flex. Dieser Mast einfach etwas weniger Flex im Top hat als ein herkömmlicher Flextop Mast wie beispielsweise der Red Cuve Mast von Unifiber.
Zumindest erklärt sich so also die verwirrende Info, man solle für Duotone, Loft Sails, Challenger, GA/Gaastra und Simmer plötzlich einen Masten verwenden, der „Flex“ im Namen trägt. Denn nach Messungen von Unifiber sind diese Marken zwischen CC und FT anzusiedeln. Ob die Bezeichnung der Biegekurve für die Yellow Serie nun glücklich gewählt ist oder nicht, darüber lässt sich trefflich streiten.
Unklar bleibt jedoch, was mit der Biegekurve für Neil Pryde-Segel im Jahre 2020 passiert ist: Denkbar wären Messfehler auf Seiten von Unifiber. Bei insgesamt 5 verschiedenen gemessenen Masten ist das aber eher unwahrscheinlich. Oder man hatte Biegekurven-Ausreißer bei Pryde zu tun, oder Pryde hat tatsächlich einen radikalen Schwenk in Sachen Biegekurve vollzogen, der bisher nicht publik war.
Wir halten Augen und Ohren offen und werden bei nächster Gelegenheit Proberigg-Tests machen und hier wieder weiter berichten.
Dieser Artikel behandelte die Frage, welcher Unifiber Mast jeweils zu Windsurf Sails der Marken Aerotech, Attitude, Avanti, Bull, Challenger, Duotone, North, Ezzy, Ga, Gaastra, Goya, Gun, Hot, KA, Loft, Maui, Naish, Neil Pryde, Point7, RRD, S2 Maui, Sailloft, Sailworks, Severne, Simmer Style, Vandal und XO kompatibel ist, also welchen Masten man in diesen Segeln verwenden / gebrauchen kann. Diese Unifiber Masten sind Alternativen zum Originalmasten des Segelherstellers, die fast ebenso gut funktionieren.
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